Am 25.4.2025 war in der Leipziger NATO ein Konzertabend mit vorgeschaltetem Zeitzeugen Talk (über die exotischen Bedingungen unter denen in der späten DDR Indie- und Experimentelle Musik fabriziert wurde) zu erleben. Drei Projekte präsentierten zu 80% Musik die in den ausgehenden 1980er Jahren in Ostberlin entstanden ist in neuen Interpretationen. Alle Musikerinnen und Musiker auf der Bühne sind mehr oder weniger direkt über familiäre und freundschaftliche Beziehungen verbunden. Alles, was an dem Abend auf der Bühne gespielt wurde, existiert in dieser Form bisher nur als Live-Version – und schreit händeringend danach, im Studio auf neue, perfekte Level zu expandieren. Kein Wunder, dass Label-, Medien- und Kulturorganisations-Vertretende nach den Auftritten über freie Studiotermine und Finanzierungsoptionen diskutiert haben.
Sequential Immersion ist das Duo aus Leo Binas am Schlagzeug und Dennis „Peryl“ Strobel an Modulsynthesizern. Am Ende des Sets erscheint mir die Kombination fast zwingend. Leo Binas zieht alle Register. Trommeln mit Druck, prickelnde Blechkaskaden, flauschiges Rauschen über Felle, knallende Rimshots. Mit Groove oder einfach gerade aus. Sequenzen und elektrische Klänge aus Peryls Modulsystem sind mal schlicht und rahmen das Schlagwerk unauffällig ein. Dann gibt es Stücke, bei denen die Rollen tauschen: Elektrische Eskapaden werden akustisch unterstützt. Das ist modern und zeitlos zu-gleich.
Thomas Wagner hat eine Geschichte mit Schlagzeugern, die er zu Duo-Projekten eingeladen hat: Rosa Beton war in der Ur-Form Dou-Punk vor den realsozialistischen Hochhäusern von Hönow. Tom Terror und das Beil eine Song orientierte Kooperation mit Jörg Beilfuß (damals Drummer beim Expander des Fortschritts), quasi als Umrahmung des Mauerfalles zwischen Anfang 1988 und Ende 1991. Unter dem Projektnamen Tom Error haben Thomas Wagner und Martina Dünkelmann Songs von Tom Terror und das Beil jetzt auf ein anderes Level transformiert. Nicht Level im Sinne von höher oder tiefer, besser oder schlechter, sondern anders, neu. Das Holo-Deck, wenn man so will. Mit der Drummerin von der anderen Mutter (sorry, das Wortspiel verstehen leider nur Synthie-Geeks). Und genauso wie bei den alten Rosa Beton Stücken funktioniert auch die Transformation der Tom Terror Stücke ins Heute. Mit angepasstem Text („Im Mittelpunkt der Erde“) natürlich nochmal deutlicher. Wenn am Ende dann die Laserschwerter gezückt werden, groovt das Ganze in den Partymodus.
Ein Anlass für den Abend in der NATO war auch die Veröffentlichung der opulenten 2 LP Box „Kluge köpfe rollen gut“ vom Expander des Fortschritts. Prall gefüllt mit originalen Aufnahmen, Bild- und Text-Material ergänzt sie die Sammlung zur Band, bestehend aus „ad acta“ (1990, Zong) und „Urknall-Horde-Mensch“ (2023, Tapetopia). Auf der Bühne interpretiert die Fortgesetzte Expedition genannte Band wichtige Auszüge aus dem Repertoire des Expanders ganz neu. Nicht so radikal neu, was die Instrumentierung angeht, aber schon sehr bei der Stimme. Beim Gesang nicht die ursprüngliche Stimmlage nachzubilden hatte sicher diverse Gründe. Die Stimme und Bühnenpräsenz von Safi expandiert die Stücke der Band ins Jetzt. Und natürlich wird das, was vor 40 Jahren mit Kassettenrekordern, Hammer und Ambos fabriziert wurde heute mit Samplern, Sequenzern und Pedalen moduliert, repetiert, verzerrt und neu zusammengewürfelt. Manche Songs leben in neuer Frische auf, manche Texte sind jetzt auch von der Bühne klar und deutlich zu verstehen. Ich persönlich fand es auch diesmal sehr spannend, die Bandinterne Kommunikation mit Blicken und Gesten während des Auftrittes zu beobachten. Das scheint mir ein funktionierendes Mehrgenerationen-Projekt zu sein, das wirklich funktioniert und nicht nur nicht, sondern ausdrücklich nicht darauf reduziert werden kann, den Geist seines Vorgängers zu reproduzieren.
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