Station Nummer drei auf der Rundreise zu den musikalischen Brennpunkten im Süden der USA: New Orleans. Der Lebensstil, den die Franzosen dieser kleinen Stadt an der Mississippi Mündung vererbt haben, hat im Laufe der Zeiten keinen Schaden genommen. Oder doch? Ich muss gestehen, dass der erste Blick der sich mir als Tourist bot, einen unerwarteten Kulturschock ausgelöst hat. War ich hier im falschen Film? War das die legendäre Musik-Kultur, die Louis Armstrong, Fats Domino, Solomon Burke und Dr. John hervorgebracht hat? Was ich sah, waren gruppenweise über das mit leeren Bechern und Getränkeresten bestreute Pflaster torkelnde Teenager. In den Händen hielten sie Eimer große Bierbecher und bunt leuchtende Alkohol-Schläuche. Aus einigen Läden donnerte simple Mitgröhl-Disco-Mugge. Typen mit großen Schildern warben für die besten Zigarren und das meiste Bier. Rosa gekleidete Mädchen kotzten auf die Straße. Übergewichtige Hinterwäldler in schlabbrigen Trainingsklamotten trotteten an „barely legal“ Nutten vorbei. Dazwischen tänzelten verstört die Pferde des NOPD.
Das konnte ich nicht akzeptieren. Ich habe also einmal tief durchgeatmet und bin die Bourbon Street der Länge nach hoch und runter gelaufen. Überall wo nicht offensichtlich dumpfe Touristen Party Abzocke lief, habe ich meine Nase … bzw. meine Ohren rein gehalten. Auch mit dieser Methode blieben mir nicht unbedingt alle Enttäuschungen erspart. Da gab es zum Beispiel einen Rock-Laden in dem eben genau das gespielt wurde: Rockstandards von „Nut Bush City Limits“ bis „Sweet Home Alabama“. Die Band war ausgesprochen routiniert. So routiniert, dass man einigen Musikern ganz deutlich angesehen hat, dass sie leer und ausgebrannt sind – gerade gut genug, um der mitfeiernden Meute vor der Bühne vorzuspielen, was sie hören will. Da die Meute dabei ihren Spaß hatte, will ich mich nicht darüber beklagen – ich musste meinen Spaß woanders suchen.
Das erste Mal wurde ich im „Voodoo Vibe“ fündig. Fast hätte ich den Laden übersprungen, weil vor der Tür zwei Mädels mit Reagenzglas Shots lockten – aus der offenen Tür drang allerdings der Klang eines schnell gespielten Accordeons. Zydeco? Ich habe mir einen Stehplatz mit gutem Blick auf die Bühne gesucht und die Ohren aufgesperrt. Ja, Zydeco. Und zwar sehr wild und rockig. Gerade knapp an der Grenze eine Spur zu kantig zu klingen. Der Typ am Accordion und Gesang hatte organisatorisch den Hut auf. Gleich neben ihm tobte sich ein junger Waschbrett Virtuose aus. Ergänzt wurde die Band durch Gitarre, Bass und Drums. Das Quintett hatte den Laden gut im Griff, obwohl sich ein stetiger Publikumsverkehr wie eine nicht abreißender Fluss um Bühne, Tanzfläche und Bar schlängelte. Einige blieben sitzen oder tanzten oder, wie dieser ältere Typ im Video links unten, groovten die ganze Zeit um die Band herum. Irgendwann zwischen zwei Songs trat ein hoch gewachsener Afroamerikaner aus dem Schatten neben mir in Richtung Bühne und gab den Musikern die Hand. Die jüngeren von ihnen wirkten sehr aufgeregt, geehrt, weil der Mann sich ihr Set angehört hatte. So funktioniert das in einer Stadt voller Musiker, man schaut, was die anderen so treiben und zollt ihnen Respekt. Die Band war übrigens – sofern ein Uploader bei Youtube richtig informiert war – „Shelton Sonnier & The Voodoo Zydeco Band“.
Als die Band im Voodoo Vibe ihr Set beendet hatte, machte ich mich auf den Weg weiter die Bourbon herauf. Vorhin hatte ich einen Klub gesehen, vor dem keine Security stand und keine Animateure herum liefen. Die Bühne war noch leer, also wollte ich später noch mal vorbei kommen. Jetzt bauten gerade vier Musiker ihren Kram auf, also setzte ich mich auf einen freien Barhocker an der Tür und wartete. Draußen fing gerade ein fast nebliger Sprühregen an. Der Laden heißt „Bayou Club“ und als die Band anfing, saßen außer mir gerade mal sechs Leute an Tischen und Bar verteilt, einige davon wussten wohl schon was sie erwartet. Der Sänger begrüßte uns mit der Nachricht, dass sie sich freuen, hier spielen zu können. Die Band hätte noch keinen richtigen Namen – sie denken darüber nach sich die „Lucky Seeds“ zu nennen. Auf der CD die ich später gekauft habe stand „Cajun Country Rockers“ (benannt nach dem 1979er Album von Doug Kershaw). Rollers wäre eigentlich richtiger. Das hat der Zydeco dieser vier Typen nämlich gemacht, sich wie leicht abgebremster Pickup deine Gehörgänge herunter gerollt. Das blanke Kontrast-Programm zu den Jungs aus dem Voodoo Vibe. Ich habe mich sofort wohl gefühlt und irgendwie muss die gute Stimmung aus den drei Türen des Bayou Club in den Nieselregen draußen geströmt sein, denn nach vier Songs war der Laden voll. Zwei Pärchen haben getanzt, die vier Leute direkt vor mir haben sich voller Entzücken Songs gewünscht und der Typ mit der Glatze groovte auch schon wieder vor der Bühne herum.
Als Tourist aus Europa wird dir in erster Linie ein größeres Interesse an Dixieland unterstellt, wenn Du nach New Orleans kommst. Hierfür gibt es einige Top-Adressen. Eine davon ist „Fritzel’s“. Die Kneipe ist sehr schmal und zweigeteilt. Vorn die Bar und weiter hinten der Raum mit der Bühne, die mehr ein Podest von ca. sechs Quadratmetern ist. Davor und rechts davon stehen sehr eng Bänke, Stühle und schmale Tische. Als ich ankam, waren gerade noch zwei Einzelplätze frei. Ich schätze, dass so um die 50 Leute Platz gefunden haben. Das Bier kostet 6 Dollar und am Ende des Sets geht der übliche Eimer für die Band rum. An diesem Samstag Abend waren Tom Fischer, Klarinette, Richard Scott, Piano und je ein mir unbekannter Drummer und Bassist dran. Dixieland in Quartett-Besetzung lässt wenig Platz für ausufernde Bläser Exzesse. Bis auf den Bassisten durfte jeder mal ans Mikrofon. Mein Lieblingsstück war eines, das vom Dummer gesungen wurde. (Sorry, ich habe keine Notizen gemacht : ) Die Wohnzimmer Atmosphäre erlaubt einen sehr direkten Kontakt zwischen Band und Publikum. Auch hier wurden Musikwünsche nach vorn gerufen und nach kurzer Diskussion innerhalb der Band erfüllt. Der Pianist hat für meinen Geschmack zu akrobatisch improvisiert. Der Klarinettist und der Bassist haben ihre Soli leichtfüssig absolviert. Tom Fischer hat nicht nur musikalisch für eine entspannte Gutfühl-Zeit gesorgt, sondern auch als Zeremonienmeister mehr oder weniger witzige Überleitungen zwischen den Songs gebracht. Die dreiviertel Stunde in Fritzel’s hat mich nicht zum Dixieland Fan werden lassen, aber Spaß hat’s gemacht.
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